Rita Banerji
Rita Banerji
1967:Geboren in Indien
1985:Auswanderung in die USA, 
Biologie-Studium zunächst am Mount Holyoke College in Massachusetts,
später an der George Washington University in Washington D. C.
1995:„Amy Lutz Award“ in Pflanzenbiologie für Doktorarbeit
1997:Rückkehr nach Indien
2006:Initiierung der Kampagne „50 Million Missing“
2008:Veröffentlichung von „Sex and Power: Defining History, Shaping Societies“
2009:„Apex Award of Excellence“
2015:Auszeichnung durch die European Students for Liberty als eine der „Sechs Frauen,
die die Welt verändern“

Die Arbeit der Biologin Rita Banerji galt zunächst dem Umweltschutz, später widmete sie sich einer anderen Leidenschaft: Seit 1997 arbeitet sie als Autorin und Fotografin. Ihr Engagement gilt seit Jahrzehnten den Frauenrechten, insbesondere setzt sich Rita Banerji gegen den Femizid in Indien ein.

Biologiestudium in den USA

Rita Banerji wurde 1967 in Indien geboren, ihre Eltern arbeiteten beide als Lehrkräfte. Die Familie gehörte einer höheren Kaste an, Rita Banerji wuchs daher in privilegierten Verhältnissen auf.

Nach ihrem Schulabschluss ging sie mit 18 Jahren in die Vereinigten Staaten von Amerika und studierte dort Biologie – zunächst am Mount Holyoke College in Massachusetts, später an der George Washington University in Washington D. C.

Für Doktorarbeit ausgezeichnet

Rita Banerji engagierte sich im Umweltschutz und spezialisierte sich als Biologin auf das Fach Naturschutz. In ihrer Doktorarbeit untersuchte sie die Auswirkungen von saurem Regen auf das Keimen und das Wachstum von Mais. Für diese Forschung wurde ihr 1995 von der Organisation „Association for Women in Science“ der „Amy Lutz Award“ verliehen.

Die Biologin arbeitete in Washington D. C. eine Zeit lang mit dem „World Resources Institute“ und dem „Institute for Policy Studies“ zusammen. Sie pflegte zudem engen Kontakt zu der indischen Aktivistin Vandana Shiva und engagierte sich mit ihr in der überwiegend von Frauen getragenen indischen „Chipko-Bewegung“, die sich gegen die kommerzielle Abholzung von Bäumen in der indischen Region Uttarakhand einsetzte. 

Rückkehr nach Indien

Im Alter von 30 Jahren kehrte Rita Banerji in ihr Heimatland zurück und arbeitete fortan als Autorin und Fotografin. Ihren Schwerpunkt legte sie dabei auf feministische Themen wie Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte und insbesondere auch auf den indischen Femizid.

Im Dezember 2006 initiierte Rita Banerji die Online-Kampagne „50 Million Missing“, um das öffentliche Wissen und die öffentliche Diskussion um den Femizid an Mädchen und Frauen in Indien zu stärken. Auf der Online-Plattform können Menschen weltweit Fotos teilen und in Foren diskutieren.

50 Millionen „vermisste“ Frauen

„Noch bevor ich im Dezember 2006 die Kampagne ins Leben gerufen hatte, war klar, dass eine der größten Herausforderungen darin bestehen würde, die öffentliche Skepsis sowohl innerhalb als auch außerhalb Indiens hinsichtlich der Richtigkeit ihrer Behauptung zu überwinden“, schreibt Rita Banerji auf der Online-Plattform. Denn, so die skeptische Frage, die ihr immer wieder gestellt wurde: Wie können 50 Millionen Mädchen und Frauen in einem Land einfach verschwinden?

„Vermisst“, so erklärt die Autorin weiter, „ist ein Euphemismus. Dabei handelt es sich nicht um Fälle vermisster Personen. Hier bedeutet der Begriff tatsächlich: beseitigt.“ Mit ihrer Kampagne klagt Rita Banerji also den Femizid in Indien an.

Erste Warnungen bereits 1986

Bereits 1986 machte der indische Nobelpreisträger Dr. Amartya Sen auf die große Divergenz im Verhältnis der Geschlechter in Indien aufmerksam. Er rechnete vor, dass das durchschnittliche Verhältnis von Männern zu Frauen in den meisten Bevölkerungen bei 100 zu 105 liege; auf Grundlage der Daten von Volkszählungen errechnete er, dass in Indien rund 37 Millionen Frauen fehlten.

Seine Warnung verhallte jedoch. 2005 berichtete die Zeitung „International Herald Tribune“ dann, dass – verglichen mit dem Anteil der Männer an der Gesamtbevölkerung –  in der indischen Bevölkerung bereits 50 Millionen Frauen fehlen würden. 

Femizid richtet sich gegen Föten und Babys

Die öffentliche Skepsis jedoch blieb nach wie vor bestehen. „Gelegentlich liest man in indischen Zeitungen, dass in einem Brunnen auf dem Gelände einer Klinik Körperteile von Babys gefunden wurden oder dass eine junge Frau unter verdächtigen Umständen aufgrund eines angeblichen Küchenunfalls an Verbrennungen starb, aber in den Nachrichten gibt es nichts, was auf ein Blutbad im Ausmaß eines Völkermords hindeutet“, erklärt Rita Banerji.

Vielmehr richtet sich die Gewalt nach den Erkenntnissen der Autorin überwiegend an ungeborenes Leben: Schätzungen zufolge werden in Indien jedes Jahr eine Million weibliche Föten abgetrieben. Auch neugeborene Mädchen werden der Aktivistin zufolge noch immer in hoher Zahl ermordet – „eine Praxis, die in Indien eine lange Tradition hat“, schreibt Rita Banerji. 

Nach wie vor geschehen „Mitgiftmorde“ 

Da keine Pflicht besteht, Geburten registrieren zu lassen, ist das tatsächliche Ausmaß solcher Tötungen schwer zu ermitteln. „Schätzungen zufolge werden im Bundesstaat Kerala, einem der fortschrittlichsten Bundesstaaten Indiens mit einer Alphabetisierungsrate von über 90 Prozent, jedes Jahr etwa 25.000 neugeborene Mädchen getötet“, erklärt die Autorin. In anderen Bundesstaaten mit niedrigerem Bildungsniveau würde die Zahl sogar noch deutlich höher liegen.

Doch auch viele junge Frauen würden ihren Erkenntnissen nach geradezu systematisch ermordet: „Als Methode Nummer drei zur Eliminierung habe ich Mitgiftmorde aufgeführt.“

Inzwischen wird die „50 Million Missing“-Kampagne in über 200 Ländern und von mehr als 2.400 Fotograf*innen unterstützt. Im Jahr 2013 wurde die Kampagne von dem Unternehmensnetzwerk Katerva als Finalistin für den „Katerva Award“ in der Kategorie „Gleichstellung der Geschlechter“ ausgewählt und schließlich mit der „People’s Choice Honourable Mention“ ausgezeichnet.

„Sex and Power“

Dem Thema Gleichstellung und Frauenrechte widmet sich Rita Banerji auch in ihrem zweiten wichtigen Werk, ihrem Buch „Sex and Power: Defining History, Shaping Societies“. Das Buch wurde erstmals 2008 veröffentlicht, die Autorin vermittelt darin ihre Erkenntnisse aus jahrelanger Forschung zu dem Thema Sexualität. 

In ihrem Buch geht die Autorin vor allem der Frage nach, warum die indische Gesellschaft in Bezug auf Sexualität eher prüde ist, obwohl sie ihr historisch betrachtet gegenüber sehr offen war – erinnert sei beispielsweise an das Kamasutra. Rita Banerji zieht den Schluss, dass die sexuellen Sitten einer Gesellschaft eng mit den sozialen Gruppen an der Macht zusammenhängen und deshalb im Laufe der Zeit variieren.

„Die derzeitige Struktur des indischen Sozial- und Rechtssystems ist so beschaffen, dass sie sowohl dem Bedürfnis des konservativen Patriachats nach sexueller Autonomie als auch der sexuellen Objektivierung der Frauen entgegenkommt und sie ihres Willens, ihrer Wahl und ihrer Individualität beraubt“, schreibt Rita Banerji in ihrem Buch.

Zahlreiche Auszeichnungen

2009 erhielt sie den „Apex Award of Excellence“ für ihre Veröffentlichungen in verschiedenen Magazinen und Zeitschriften. Ihr Buch „Sex and Power“ stand in Indien zudem auf der Longlist des „Vodaphone-Crossword Non-Fiction Book Award“. 

2015 wurde Rita Banerji von den „European Students for Liberty“ als eine der „Sechs Frauen, die die Welt verändern“ ausgewählt. Das Magazin „Wear Your Voice“ kürte sie im selben Jahr zu einer der „30 einflussreichsten Frauen des Jahres“. Der „Reader Club of Delhi“ zählt sie zu den indischen feministischen Schriftstellerinnen, deren Werke „man sich nicht entgehen lassen sollte“.


Bildquelle: https://masalamommas.com/2011/10/31/author-of-sex-power-rita-banerji-interview/