Nach wie vor existieren in der Bundesrepublik Arbeitsverhältnisse, die recht unkonkret ausgestaltet und insoweit auch prekär sind. Dies gilt insbesondere für die Abrufarbeit, auch wenn diese Form der Arbeit aufgrund der Arbeitsmarktlage inzwischen vermutlich nicht mehr so häufig vorkommt wie früher. Für die Beschäftigten, die auf Abruf arbeiten, ist die folgende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts jedoch von Bedeutung (BAG, Urteil vom 18.10.2023, Az. 5 AZR 22/23, siehe hierzu Pressemitteilung des BAG vom 18.10.2023 Nr. 42/23).
Das ist passiert: Beschäftige verlangte, dass ihre Abrufarbeit höher abgerechnet und bezahlt wird
In dem entschiedenen Fall ging es um eine Beschäftigte der Druckindustrie, die auf Abruf arbeitete. Ihr Arbeitsvertrag enthielt keine Regelung zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit. Sie wurde wie alle übrigen auf Abruf beschäftigten Arbeitnehmer*innen des Unternehmens je nach Kapazität und Bedarf in einem unterschiedlichen zeitlichen Umfang für die Arbeitgeberin tätig.
Umfang der Abrufarbeit hatte sich erheblich verringert
Im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren verringte sich im Jahr 2020 der Umfang der Stunden, in denen die Beschäftigte benötigt wurde, erheblich. Entsprechend fiel auch ihre Bezahlung geringer aus. Sie wollte dies nicht klaglos hinnehmen, klagte und berief sich darauf, dass die Arbeitgeberin Stunden in einem Arbeitsumfang abzurechnen und zu bezahlen habe, wie sie ihn im Durchschnitt in den Jahren 2017 bis 2019 erbracht hatte.
Stundenumfang der Arbeitsleistung betrug in den Vorjahren 103,2 Stunden monatlich
Die Beschäftigte hatte in diesen Jahren durchschnittlich 103,2 Stunden im Monat gearbeitet. Die Arbeitgeberin hatte nur die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden vergütet. Die Beschäftigte wollte nunmehr die Anzahl der Durchschnittsstunden aus den Jahren 2017 bis 2019 auch für das Jahr 2020 als Abrechnungsgrundlage sehen und legte Klage auf Zahlung einer entsprechenden Vergütung beim zuständigen Arbeitsgericht ein.
Das sagten die Gerichte: Beschäftigte bekam nur punktuell recht
Das Arbeitsgericht gab der Beschäftigten allerdings nur teilweise recht. Es bezog sich auf § 12 Absatz 1 Satz 3 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, wonach eine Dauer von 20 Wochenstunden anzunehmen ist, wenn im Arbeitsvertrag für das Abrufarbeitsverhältnis keine Arbeitszeit vereinbart wurde.
20 Stunden wöchentlich musste die Arbeitgeberin vergüten
Die Richter*innen gestanden der Beschäftigten daher nur die Bezahlung von 20 Stunden wöchentlich zu und damit einen geringeren Umfang, als die Beschäftigte in ihrer Forderung geltend gemacht hatte. Die Klägerin legte daraufhin Berufung ein, die das Landesarbeitsgericht zurückwies.
Das entschied das BAG: Die Revision der Beschäftigten wurde zurückgewiesen
Doch die Frau verfolgte ihr Ziel weiter, legte vor dem Bundesarbeitsgericht Revision ein und machte erneut geltend, dass die Durchschnittsstunden der Jahre 2017 bis 2019 zu vergüten seien. Doch auch vor dem BAG hatte die Beschäftigte keinen Erfolg.
Die Richter*Innen bestätigten aber das Ergebnis des Arbeitsgerichtes und führten aus, dass tatsächlich die Regelung des § 12 Absatz 1 Satz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz anzuwenden sei und nicht etwa eine weitere Auslegung, wie die Beschäftigte sie einforderte, infrage käme.
Vergangenes Abrufverhalten hat kein zukünftiges Abrufverhalten begründet
Für eine weite Auslegung der Norm sahen die Richter*innen im vorliegenden Fall keinen Spielraum und folgten insoweit dem Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz. Sie begründeten dies damit, dass es keine Hinweise dafür gebe, dass sich die Arbeitgeberin mit dem Abrufverhalten in den Jahren 2017 bis 2019 darauf festlegen wollte, auch für die Zukunft diesen Umfang der Arbeit zu vergüten.
Rechtsgeschäftlicher Erklärungswille der Arbeitgeberin wurde von den Richter*innen verneint
Ein rechtsgeschäftlicher Erklärungswille, dass die Arbeitgeberin dies tatsächlich wollte, sei nicht anzunehmen. Insoweit käme die gesetzliche Bestimmung, die die arbeitsvertragliche Lücke schließen soll, zur Rechtsanwendung und der Beschäftigten seien, wie es bereits die Vorinstanzen ausgeurteilt hatten, lediglich 20 Stunden wöchentlich zu vergüten.
Das bedeutet diese Entscheidung für Sie in der Praxis
Diese Entscheidung macht deutlich, dass der Umfang der abgerufenen Arbeitszeit in der Vergangenheit noch nicht als Indiz für einen sogenannten Vertragsbindungswillen der*des Arbeitgeber*in für die Zukunft gewertet werden kann. Es ist also in ähnlichen Fällen nicht davon auszugehen, dass ein Umfang, der über die 20 Wochenstunden des § 12 Absatz 1 Satz 3, Teilzeit- und Befristungsgesetz hinausgeht, als von der*dem Arbeitgeber*in gewollt betrachtet werden kann. Es müssen stattdessen weitere Indizien hinzukommen, um von einem Vertragsbindungswillen der*des Arbeitgeber*in ausgehen zu können.
Mein Tipp:
Veröffentlichen Sie diese Entscheidung an Ihrem schwarzen Brett oder im Intranet
Sie sollten diese Entscheidung an Ihrem schwarzen Brett oder auf Ihrer Seite in Ihrem Intranet veröffentlichen. Sie kann für Beschäftigte, die in solchen prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten, ein wichtiger Hinweis dahin gehend sein, dass Arbeitgeber*innen immer 20 Stunden wöchentlich zu vergüten haben, wenn im Arbeitsvertrag keine Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit festgelegt ist.
Ferner kann diese Entscheidung natürlich auch für Angehörige von Beschäftigten, die in der Privatwirtschaft arbeiten, von Bedeutung sein.
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In dem entschiedenen Fall ging es um eine Beschäftigte der Druckindustrie, die auf Abruf arbeitete. Ihr Arbeitsvertrag enthielt keine Regelung zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit. Sie wurde wie alle übrigen auf Abruf beschäftigten Arbeitnehmer*innen des Unternehmens je nach Kapazität und Bedarf in einem unterschiedlichen zeitlichen Umfang für die Arbeitgeberin tätig.
Die Revision der Beschäftigten wurde zurückgewiesen
Doch die Frau verfolgte ihr Ziel weiter, legte vor dem Bundesarbeitsgericht Revision ein und machte erneut geltend, dass die Durchschnittsstunden der Jahre 2017 bis 2019 zu vergüten seien. Doch auch vor dem BAG hatte die Beschäftigte keinen Erfolg.
Die Richter*Innen bestätigten aber das Ergebnis des Arbeitsgerichtes und führten aus, dass tatsächlich die Regelung des § 12 Absatz 1 Satz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz anzuwenden sei und nicht etwa eine weitere Auslegung, wie die Beschäftigte sie einforderte, infrage käme.