Eine interessante Studie ist im letzten Jahr in den USA erschienen (Brown, Jacoby-Senghor und Raymundo (2022): If you rise, I fall: Equality is prevented by the misperception that it harms advantaged groups, https:// t1p.de/66xyx). Ziel der Untersuchung war es herauszufinden, weshalb Ungleichheit weiterhin fortbesteht, obwohl Gleichstellungsmechanismen dafür sorgen könnten, dass es allen Mitgliedern einer Gesellschaft besser geht. Auch wenn spezifische Parameter, die in der Studie genannt werden, eine stärkere Relevanz in den USA haben, lässt sich die Kernaussage der Studie auch auf Deutschland übertragen. Was dies für Ihre Gleichstellungsarbeit bedeutet, lesen Sie hier.
Ein mehr als ernüchterndes Ergebnis
Um es vorwegzunehmen: Die Ergebnisse der Studie sind sehr ernüchternd. So lässt sich überspitzt die Kernthese der Studie anhand folgenden Zitats der Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrisson festmachen: „Wenn Sie nur groß sein können, weil jemand auf den Knien ist, dann haben Sie ein ernstes Problem.“
Denn die Studie zeigt, dass privilegierte Gruppenmitglieder Gleichheit fälschlicherweise als Beeinträchtigung ihres Zugangs zu Ressourcen und damit Ungleichheit als nützlichen Vorteil für sie selbst wahrnehmen. Dies gilt selbst dann, wenn eigentlich von einer Win-win-Situation auszugehen ist, also wenn sowohl die privilegierte als auch die benachteiligte Gruppe Vorteile erwarten.
So wird deutlich, dass Menschen genau darauf achten, wie wohlhabend bzw. privilegiert sie im Vergleich zu anderen sind, und sich so verhalten, dass sie ihre relativen Vorteile weiterhin ausbauen.
Fälschliche Annahme, dass es nur Gewinner*innen oder Verlierer*innen geben kann
Dahinter steht oftmals eine fälschliche Annahme, die in der Studie „Fixed Pie Bias“ genannt wird. Dieser Ausdruck bezeichnet die Annahme, dass es einen festen Ressourcen-Kuchen (englisch pie) gäbe und dieser unter allen aufgeteilt werde. Das heißt, sobald eine Gruppe ein Stück dieses Kuchens erhält, wird der anderen Gruppe eines weggenommen. In dieser Wahrnehmung gibt es somit zwangsläufig immer diejenigen, die etwas dazubekommen (Gewinner*innen), und diejenigen, die etwas abgeben müssen (Verlierer*innen).
Privilegierte Gruppen empfinden Gleichstellung als Verlust ihrer Ressourcen
Gemäß dieser Annahme lässt sich auch erklären, weshalb die meisten Studienteilnehmer*innen zwar glauben, dass Schritte unternommen werden müssen, um mehr Gleichheit zu erreichen, die darauf abzielenden Maßnahmen jedoch oft als diskriminierend oder bedrohlich für Mitglieder der privilegierten Gruppe empfinden.
So wird seitens der Privilegierten lieber der Status quo aufrechterhalten oder Ungleichheit vergrößern, weil fälschlicherweise davon ausgegangen wird, als die „Verlierer*innen“ bestimmter Gleichstellungsmaßnahmen zu gelten.
Diesen positiven Ausblick gibt es
Gleichstellungsfördernde Maßnahmen wurden als positiv wahrgenommen, wenn sie nicht nur zwischen Gruppen, sondern vor allem auch innerhalb der eigenen privilegierten Gruppe zu Verbesserungen führen. Als Maßnahme wird in der Studie vorgeschlagen, dass sich bei Gleichstellungsmaßnahmen mehr auf eine gemeinsame Identität berufen werden sollte.
Meine Empfehlung:
So können Sie auf die Ergebnisse in Ihrer Arbeit Bezug nehmen
Als Gleichstellungsbeauftragte stellen diese Gleichstellungshindernisse sicherlich eine Ambivalenz dar. Zum einen wäre es vorstellbar, die Ergebnisse zu berücksichtigen und eine sogenannte gemeinsame Identität von Eltern in den Vordergrund zu stellen, wenn es um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht. So könnte erreicht werden, dass bestimmte Maßnahmen, die Müttern zugutekommen sollen, eher angenommen werden, weil auch Väter mit angesprochen werden.
Zum anderen gehören Ungleichheiten zu unserer gesellschaftlichen Realität dazu und diese werden größer, wenn die ohnehin schon privilegierte Gruppe eine Opferhaltung einnimmt und etwaige Entscheidungsprozesse beeinflusst.
Insofern wäre es sicherlich auch vorstellbar, dass Sie die Ergebnisse der Studie gezielt einbauen und somit konfrontativ damit umgehen.
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„Wenn Sie nur groß sein können, weil jemand auf den Knien ist, dann haben Sie ein ernstes Problem.“
Denn die Studie zeigt, dass privilegierte Gruppenmitglieder Gleichheit fälschlicherweise als Beeinträchtigung ihres Zugangs zu Ressourcen und damit Ungleichheit als nützlichen Vorteil für sie selbst wahrnehmen. Dies gilt selbst dann, wenn eigentlich von einer Win-win-Situation auszugehen ist, also wenn sowohl die privilegierte als auch die benachteiligte Gruppe Vorteile erwarten.
So wird deutlich, dass Menschen genau darauf achten, wie wohlhabend bzw. privilegiert sie im Vergleich zu anderen sind, und sich so verhalten, dass sie ihre relativen Vorteile weiterhin aus- bauen.
Gleichstellungsfördernde Maßnahmen wurden als positiv wahrgenommen, wenn sie nicht nur zwischen Gruppen, sondern vor allem auch innerhalb der eigenen privilegierten Gruppe zu Verbesserungen führen. Als Maßnahme wird in der Studie vorgeschlagen, dass sich bei Gleichstellungsmaßnahmen mehr auf eine gemeinsame Identität berufen werden sollte.