Wer sich mit dem Thema „Mental Load“ beschäftigt, merkt schnell, dass für eine Gleichstellung im Arbeitskontext weitaus mehr erforderlich ist als beispielsweise eine paritätische Besetzung auf allen Ebenen. Denn trotz aller Bemühungen seitens der Arbeitgeber*innen und insbesondere der Gleichstellungsbeauftragten sind es nach wie vor überwiegend Mütter, die in Teilzeit arbeiten und den Mehrfachbelastungen von Care-Arbeit, Mental Load und Erwerbstätigkeit ausgesetzt sind. Das Buch „Mythos Mutterinstinkt – Wie moderne Hirnforschung uns von alten Rollenbildern befreit und Elternschaft neu denken lässt“ von Annika Rösler und Evelyn Höllrigl-Tschaikner setzt sich mit diesem Thema auseinander und räumt mit althergebrachten Rollenerwartungen auf. Auch für Ihre Arbeit als Gleichstellungsbeauftragte dürfte es daher interessant sein.

    So wirkt sich der vermeintliche Mutterinstinkt aus

    Der Begriff „Mutterinstinkt“ wird oft verwendet, um die vermeintlich angeborenen Verhaltensweisen und Instinkte von Müttern in Bezug auf ihre Kinder zu bezeichnen. Dieser Instinkt umfasst eine Reihe von Verhaltensweisen, die darauf abzielen, die Sicherheit, das Wohlbefinden, das Überleben des Kindes zu gewährleisten und seine Entwicklung zu fördern.

    Die Kritik an diesem Begriff bezieht sich auf die dahinterstehende Annahme, dass Mädchen quasi ab Geburt dafür gemacht sind, später einmal Mutter zu sein. Dies bildet die biologische Grundlage der Aufgabenverteilung und der Rollenzuweisung, denn über einen vermeintlichen Vaterinstinkt wird nicht gesprochen. Auch unterschlägt der Begriff den individuellen Lernprozess, die Schwierigkeiten und die notwendige Wissenseignung, die „Muttersein“ mit sich bringt.

    Das sind die Erkenntnisse der Hirnforschung

    Das Gehirn von Frauen in der Schwangerschaft ändert sich ähnlich wie das von Jugendlichen in der Pubertät, weshalb hier auch von „Muttertät“ die Rede ist. Diese Veränderung ermöglicht es Frauen, mit den neuen Herausforderungen zunächst besser zurechtzukommen und sich für die Mutterschaft zu sensibilisieren. Allerdings ist Muttertät ein über Jahre hinweg andauernden Prozess, der somit nicht instinktiv ist, sondern stark beeinflusst wird von der jeweiligen Lebenssituation, dem Umfeld und einem individuellen Lernprozess.

    Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge findet diese Veränderung der Hirnstruktur ebenfalls bei Vätern statt, jedoch erst nach der Geburt des Kindes und abhängig davon, wie sehr Väter (oder auch nicht biologische Eltern) sich bewusst dahin gehend sensibilisieren und Verantwortung übernehmen (wollen). Der vermeintliche „Vorteil“ von biologischen Müttern kann, so die Autorinnen, durch die bewusste Übernahme von Verantwortung anderer Bezugspersonen somit ausgeglichen werden.

    Fürsorgeinstinkt statt Mutterinstinkt

    Das Gehirn aller Bindungspersonen, ob biologisch oder nicht, wird nachweislich durch Erfahrung verändert, und das geschieht durch Nähe zum Kind und die bewusste und aktive Übernahme von Verantwortung. Es wäre sehr viel richtiger, über einen sogenannten Fürsorgeinstinkt zu sprechen, denn der ist bei allen Menschen – nicht nur bei Frauen – angelegt. Dieser Instinkt ermöglicht es, die Fürsorge für einen anderen Menschen zu übernehmen, indem dessen Bedürfnisse wahrgenommen und befriedigt werden. Die Übernahme von Fürsorgearbeit hat daher weniger mit einem „Können“ zu tun als vielmehr mit einem „Wollen“ und ist ganz sicher an kein Geschlecht gekoppelt.

    Elternschaft neu denken

    Frauen bewegen sich insbesondere dann, wenn sie Mütter werden, in einem sehr engen Korsett an Zuschreibungen, Erwartungen und vermeintlichen Aufgaben, die sie allein zu übernehmen haben. Erkenntnisse wie die hier genannten sollen dabei helfen, die überhöhten Erwartungen an Mutterschaft und die Zuschreibungen an Frauen zu überdenken und stattdessen Vaterschaft mehr ins Sichtfeld zu rücken. Ein Anfang kann sein, mit dementsprechenden Mythen aufzuräumen.

    Meine Empfehlung:
    Behandeln Sie das Thema „Elternschaft“ auf der nächsten Frauenversammlung

    Um das Bewusstsein für diese Zusammenhänge weiter zu erhöhen und auch darüber ins Gespräch zu kommen, könn- te dies beispielsweise ein Thema für Ihre nächste Frauenver- sammlung sein. Es ist wichtig zu verstehen, dass das Narrativ der aufopfernden und fürsorglichen Mutter weiterhin dafür sorgt, dass die Elternzeit nach wie vor noch nicht einmal an- nähernd gleichberechtigt verteilt ist und vor allem Mütter in Teilzeit arbeiten. Wichtig in diesem Kontext ist (auch) ein sprachliches Um- denken. So können Sie dazu beitragen, durch die Thema- tisierung auf der Frauenversammlung die Begriffe „Mental Load“ und „Care-Arbeit“ stärker zu etablieren und Begriffe wie „Mutterinstinkt“ durch „Fürsorgeinstinkt“ zu ersetzen. Sollten Sie noch Fragen zur Frauenversammlung haben oder weitere Anregungen diesbezüglich benötigen, könnte Ihnen die Rechtsanwältin Janika Kunz behilflich sein. Sie bietet Online-Workshops zum Thema „Frauenversammlung“ an. Weiteres können Sie der folgenden Website entnehmen: www.kanzlei-kunz.de

    FAQ-Bereich

    Für wen ist „Gleichstellung im Blick“?

    „Gleichstellung im Blick“ richtet sich speziell an Frauen-, Gleichstellungs- und Chancengleichheitsbeauftragte im öffentlichen Dienst und der freien Wirtschaft in ganz Deutschland.

    Kann ich „Gleichstellung im Blick“ probelesen?

    Ja. Wir bieten allen interessierten Frauen-, Gleichstellungs- und Chancengleichheitsbeauftragten die Möglichkeit eine Ausgabe 14 Tage lang kostenfrei zu lesen. Sie entscheiden erst dann, ob Sie einen kostenpflichtigen Bezug möchten oder nicht.

    Was bietet mir „Gleichstellung im Blick“?

    „Gleichstellung im Blick“ bietet allen Frauen-, Gleichstellungs- und Chancengleichheitsbeauftragten relevante, aktuelle und rechtssichere Informationen zur Herstellung von Chancengleichheit in der Arbeitswelt. Neben der gedruckten Ausgabe haben Leser*innen die Möglichkeit eine telefonische Sprechstunde für individuelle Fragen in Anspruch zu nehmen. Ebenso laden wir mindestens 1mal pro Jahr zu einem Netzwerktreffen zum Austauschen und Netzwerken ein. Ein Zugang zu einem Onlinebereich, in dem Sie Muster-Initiativanträge, Checklisten, Übersichten und Muster-Schreiben herunterladen können, rundet das Angebot ab.

    Wie wirkt sich der Mutterinstinkt aus?

    Der Begriff „Mutterinstinkt“ wird oft verwendet, um die vermeintlich angeborenen Verhaltensweisen und Instinkte von Müttern in Bezug auf ihre Kinder zu bezeichnen. Dieser Instinkt umfasst eine Reihe von Verhaltensweisen, die darauf abzielen, die Sicherheit, das Wohlbefinden, das Überleben des Kindes zu gewährleisten und seine Entwicklung zu fördern.

    Was ist die Kritik an diesem Begriff?

    Die Kritik an diesem Begriff bezieht sich auf die dahinterstehende Annahme, dass Mädchen quasi ab Geburt dafür gemacht sind, später einmal Mutter zu sein. Dies bildet die biologische Grundlage der Aufgabenverteilung und der Rollenzuweisung, denn über einen vermeintlichen Vaterinstinkt wird nicht gesprochen. Auch unterschlägt der Begriff den individuellen Lernprozess, die Schwierigkeiten und die notwendige Wissenseignung, die „Muttersein“ mit sich bringt.